Wasser für Köln
Die 95,4 Kilometer lange römische Wasserleitung von Nettersheim bis Hürth-Hermülheim gilt als das bedeutendste technische Denkmal der Römerzeit nördlich der Alpen. Heute kann man über den „Römerkanalwanderweg“ die Trasse nachverfolgen. 30 Prozent der in freiem Gefälle gebauten Leitung sind noch erhalten.
Vom Wanderweg „So weit das Auge reicht“ oberhalb von Mechernich hat man einen wunderbaren Panoramablick. Über die Zülpicher Börde ins Rheinische Braunkohlerevier, ganz entfernt das Siebengebirge, und in mittlerer Entfernung auf einen bis zu 50 Meter hohen bewaldeten Riegel: Die Ville trennt das Rheintal von der Bördelandschaft und der Eifel. Köln liegt in ihrem Schatten.
Diese Topographie war auch den Ingenieuren bekannt, die an der Wende des ersten zum zweiten Jahrhundert einen ungewöhnlichen Auftrag erhielten: Der Bau einer Trinkwasserleitung aus der Eifel zur Versorgung der stolzen CCAA (Colonia Claudia Ara Agrippinensium), Hauptstadt der Provinz Germania Inferior, Hauptquartier des niedergermanischen Heeres. Das heutige Köln war um die erste Jahrhundertwende eine Stadt mit um die 20.000 Einwohnern. Damals habe das vorhandene Trinkwasserleitungsnetz, gespeist aus Vorgebirgsbächen bei Hürth im heutigen Erftkreis, einfach nicht mehr ausgereicht, so Petra Tutlies, Leiterin der Außenstelle Nideggen des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland: „Die Bäche versiegten immer mal wieder, die Trinkwasserversorgung für das wachsende Köln war alles andere als gesichert.“
Für das wesentlich kleinere Oppidum Ubiorum, die Vorgängerstadt der CCAA, hatte das vorhandene Netz zwar noch gereicht, doch die Ansprüche einer stark wachsenden nach heutigen Maßstäben großstädtischen Bevölkerung, die einen gewissen Lebensstandard wünschte, waren andere. „Es musste eine Wasserleitung gebaut werden, die die Grundversorgung sicherte, die Thermen versorgte, dazu Gewerbebetriebe und luxuriöse private Anwesen“, so Tutlies.
Zudem spielte die Wasserqualität eine Rolle: Bei den Römern war kalkreiches, hartes Wasser wegen seines Geschmacks besonders beliebt – aus natürlichen Quellen, also Brunnenwasser, das zudem von Natur aus schadstoffärmer als Oberflächenwasser ist.
Explorer identifizierten die "Sötenicher Kalkmulde" als geeignetes Quellgebiet.
Explorer hatten herausgefunden, wo es solches Wasser in ausreichender Schüttmenge gab: In der Eifel, im Gebiet der heutigen „Sötenicher Kalkmulde“ bei Kall, waren brauchbare Quellen identifiziert worden. 50 Kilometer Luftlinie vom Castellum divisorium, den Wasserverteilbecken zur Einspeisung in das städtische Wassernetz entfernt. Am Ende sollte die römische Eifelwasserleitung bis zu 20.0000 Kubikmeter Wasser täglich nach Köln transportieren.
Doch bis dahin waren rund 380 Höhenmeter zu überwinden, nach dem Abstieg aus der Eifel zwei kleine Flüsse zu überqueren – und im letzten Drittel rund 30 Kilometer mit einem nur noch 35 Meter flachen Höhenunterschied zu überwinden. Das alles in einer frei gespiegelten Leitung – mit ausschließlich natürlichem Gefälle.
Die römischen Ingenieure und die geschätzten rund 1600 Arbeiter, aufgeteilt in Bautrupps für die einzelnen Baulose, begannen zunächst an den Quellen oberhalb des Feybachtals. In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts wurde noch eine Verlängerung ab dem „Grünen Pütz“ unterhalb von Nettersheim im Urfttal an das erste Sammelbecken in Eiserfey angeschlossen.
Um die Leitung vor Frost zu schützen wurde sie einen Meter tief ins Erdreich verlegt.
Da sich das gesamte Gerinne eng an das natürliche Geländeprofil anschmiegen musste, zwecks Frostschutz unterirdisch in einem Meter Tiefe verlegt, wurden entlang der Trasse, etwa in den Scheitelpunkten der engen Seitentäler der hügeligen Mittelgebirgslandschaft, eine Unzahl von kleinen Brücken und Brückchen nötig. Diese niedrigen Hochbauten wurden in der Regel vorab nach Ausmessung der Trasse von speziellen Bautrupps errichtet bevor die eigentlichen Trassenbauer den Punkt erreichten.
„Natürlich hätten die Ingenieure auch lange Tunnel oder große Brücken bauen können, das Fachwissen hatten sie auf jeden Fall“, so der Archäologe Klaus Grewe, der den bis heute als Standardwerk anerkannten „Atlas der römischen Wasserleitungen nach Köln“ verfasst hat. Doch außer bei Vussem wo auf den noch erhaltenen originalen Fundamenten zwei Bogenstellungen eines einst 80 Meter langen und zehn Meter hohen Aquäduktes rekonstruiert wurden, konnten die Ingenieure auf solche Bauwerke in der Eifel verzichten. Auch ein Tunnel, wie mit rund 1600 Metern im „Drover Berg“ bei Düren entdeckt, war nicht vorgesehen.
Was heute die meisten Neugierigen fasziniert ist die Frage, wie man ein solches Meisterwerk über eine solche Distanz vermessen kann – ohne dass der freie Fall auch nur ein einziges Mal unterbrochen wird. Die römischen Landvermesser bedienten sich dabei zum einen alten geodätischen Fachwissens, zum anderen nutzten sie genial einfache Erfindungen wie den Chorobat und die Groma sowie die Technik des Austafelns, die noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts für die Absteckung einer Strecke im Gelände benutzt wurde.
Zur Nivellierung wurde der acht Meter lange Chorobat, eine Art riesige Wasserwaage, genutzt, die wie ein Stechzirkel mit Kontrollmessungen über die Strecke geführt wurde. So wurden Höhenunterschiede, Bauwerksgrenzen und Baulosabschnitte bestimmt, die Erdkrümmung wurde bei solchen Berechnungen eliminiert.
Pragmatismus und Qualitätsanspruch -
dafür standen die römischen Ingenieure.
Das galt nicht beim anschließenden Austafeln des festgelegten Trassenabschnittes mit drei T-förmigen Platten, der Fixierung der endgültigen Trassenlinie durch Peilung. Im Ergebnis kam man mit den einzelnen Bauabschnitten immer etwas zu hoch an der Grenze an, das natürliche Gefälle, das so entstand, wurde genutzt.
Die Groma kam zum Einsatz, wenn es um die Errichtung von Bauwerken wie Brücken ging, deren Rechtwinkeligkeit so errechnet wurde: Ein drehbares Winkelkreuz mit Bleiloten über einem gekröpften Stativ erfüllte den Zweck.
In der Umsetzung wurde dieses ganze angewandte Wissen durch den genialischen Pragmatismus und den extremen Qualitätsanspruch der Ingenieure und Bauarbeiter zu dem Meisterwerk, als das die römische Eifelwasserleitung heute gilt. „Sie gehört zu den bedeutendsten technikgeschichtlichen Denkmälern des Rheinlands“, so LVR-Fachfrau Petra Tutlies.
Ein ernsthaftes Problem bei der Trassenplanung tauchte allerdings schon nach wenigen Kilometern auf: Da die Urft, in deren Tal die Verlängerung beginnt, nicht im Einzugsbereich des Rheins liegt, musste die Gefälleleitung über die Rhein-Maas-Wasserscheide in Richtung Köln geführt werden.
Bei Kall-Dottel, genauer an der Querung der Eisenbahnstrecke über die heutige L 206, hatten die römischen Ingenieure den tiefsten und idealen Punkt gefunden: Mit nur 0,14 Prozent Gefälle überwanden sie das natürliche Hindernis. In Kall-Sötenich hatte die Gefällestrecke schon wieder eine Höhe von 30 Metern über dem Talgrund erreicht.
Am Geländeübergang von der Eifel in die Bördelandschaft bei Kreuzweingarten, hier wurde an einer Baulosgrenze sogar ein Tosbecken angelegt um den Wasserdruck durch das starke Gefälle auszugleichen, waren die bis hierhin gefundenen Lösungen allerdings nicht mehr ausreihend. Es musste eine Grundsatzentscheidung getroffen werden um den Querriegel der Ville vor der Rheinebene zu überwinden.
Möglicherweise aus Kosten- und Zeitgründen entschieden sich die Planer für einen Trick: Einen 20 Kilometer langen Umweg um den letzten Ausläufer des Riegels herum. Bei Meckenheim knickt die römische Eifelwasserleitung nun im scharfem Winkel nach Nordosten ab. Durch das Swistbachtal geht es vorbei an Brühl und schließlich zum Endpunkt der Leitung im heutigen Hürth-Hermülheim.
Um dieses Ziel zu erreichen war allerdings, wie zuvor in der Eifel bei Vussem in kleinerem Maßstab, nun in der Ebene gleich zwei Mal der Bau von Brücken zur Überquerung kleiner Flüsse nötig, auch wenn kein zweiter „Pont du Garde“ entstand.
Weder von der 180 Meter langen Erftbrücke bei Euskirchen-Rheder, noch von dem sogar 300 Meter langen Bauwerk bei Meckenheim-Flerzheim über den Swistbach ist heute bis auf wenige Fundamentspuren im Feld etwas übrig geblieben. Natürlich werden die nicht mehr genutzten Bauwerke im Laufe der Jahrhunderte auch schlicht verfallen sein. Die Qualität des verwendeten Baumaterials, vor allem des für die Gefällerinne verbauten Opus Caementitium, waren allerdings auch beliebtes Baumaterial für Neues: Es findet sich heute in zahlreichen Kirchen, Kapellen oder Burgen.
„Im großen Stil wurde die Wasserleitung zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert für neue Bauten abgebrochen“, so Archäologin Petra Tutlies. Vor allem auf der Trasse in der Ebene, weniger in der Eifel, wo der Aufbruch wesentlich schwieriger und die Trasse auch nicht so leicht zu erkennen war.
In Hürth-Hermülheim bekommt die römische Wasserleitung aus der Eifel nach 95,4 Kilometern in einem kleinen Park neben der Realschule eine neue Richtung: Sie wird auf dem schon vorhandenen Kanal der älteren Vorgebirgsleitungen aufgesetzt. Als Hochleitung, in zehn Metern Höhe, und auf zwei Ebenen, erreicht das Wasser aus der Eifel für Köln den Wasserverteilbau an der Stadtmauer der CCAA.
In regelmäßigen Abständen wurden Kanalmeistereien wie bei Breitenbenden errichtet.
In den rund 180 Jahren, die die Eifelwasserleitung bis zu den Frankeneinfällen um 350/360 nach Christus in der Region in Betrieb war, wurde sie natürlich auch gewartet. In regelmäßigen Abständen, etwa bei Breitenbenden von den Archäologen freigelegt, wurden Kanalmeistereien gebaut. An ausgewählten Punkten, vielleicht im Umkreis eines kleinen Vicus, entdeckte man auch ein Tempelchen, wie bei Urft-Dalbenden.
Aber es gibt noch andere Besonderheiten dieses technischen wie logistischen Meisterwerks. Um das gesammelte Quellwasser schon vor dem Eintritt in das Sammelbecken und der Einspeisung ins Netz zu klären, wurde etwa am „Grünen Pütz“ im Urfttal bei Nettersheim eine 80 Meter lange „Sickergalerie“ vorgeschaltet, in der sich Schwebteilchen absetzen konnten.
Ähnlichen Zwecken dienten die Sammelbecken wie in Eiserfey. Dort kamen die Quellleitung vom „Klausbrunnen“ vor Kallmuth, an den die später gebaute Verlängerung vom „Grünen Pütz“ und die Zuleitung von der Quelle in Urfey angeschlossen war, zudem der Strang aus dem Hausener Benden bei Weyer über Dreimühlen zusammen. Die dritte Öffnung in der Mauer des runden Beckens ist der „Abfluss nach Köln“, wie es heute auf einer Tafel im Schutzbau des Bodendenkmals steht: Es ist der eigentliche Beginn der Leitung. Ab hier ist auch die Bauweise der U-förmigen Kanalrinne über die größte Strecke in einem Regelquerschnitt ausgeführt: 1,35 Meter hoch, 0,70 Meter breit. Damit so dimensioniert, dass über Revisionsschächte im Bückgang Kontrollgänge möglich waren.
An vielen Orten im Rheinland kann man heute Teile des alten Bauwerks finden. In Rheinbach stehen einzelne Segmente im Stadtgebet verteilt. Man konnte sich praktischerweise direkt aus der Trasse, die quer durchs halbe Stadtgebiet verlief, bedienen.
Als in Hürth ein etwa 40 Meter langes Teilstück für einen Straßenbau ausgebrochen wurde, wurde der Kanal in Scheiben geschnitten, die verkauft wurden. So kam manche Schule zu einer neuen Attraktion auf dem Schulhof. Auch andernorts, etwa neben dem Naturzentrum in Nettersheim, steht unvermutet ein Teilstück der römischen Wasserleitung. Oder am Parkplatz „Grüner Winkel“ der A1 in Fahrtrichtung Köln in Höhe von Lessenich.
In Mechernich-Antweiler kamen die Archäologen zu spät. Bei Baggerarbeiten wurden „150 Meter Trasse zerstört“, so die LVR-Archäologin. Das Amt für Bodendenkmalpflege des LVR soll als Träger öffentlicher Belange von der zuständigen Genehmigungsbehörde in der Regel sind das die Landkreise in der Region – bei Bauvorhaben dann gehört werden, wenn die Kanaltrasse tangiert würde, oder ihr Vorkommen im Erdreich als wahrscheinlich gilt.
Nicht immer hat ein Veto dann Erfolg. So könne es – etwa in Neubaugebieten in Kreuzweingarten – durchaus sein, dass der eine oder andere Anwohner im Keller ein Stück „„Römerkanal““ liegen hat, glaubt LVR-Fachfrau Petra Tutlies. Insgesamt sind heute 30 Prozent der ehemaligen Strecke des „„Römerkanals“ erhalten, von denen wiederum die Hälfte unter Denkmalschutz gestellt ist.
Kalksintermarmor findet sich etwa im Altarbaldachin
der Klosterkirche von Maria Laach.
Was weniger bekannt ist, ist die einstige Beliebtheit des „Aquäduktmarmors“. Es handelt sich um die Kalksinterablagerungen über dem Innenputz, die vor allem im Eifelteil des Kanals zu finden sind, ein Teilstück ist vor dem Sammelbecken in Eiserfey ausgestellt. In Kreuzweingarten ist an einem Aufschluss eine bis zu 40 Zentimeter starke Mächtigkeit zu sehen. Hier erreichten die Kalkausfällungen ihren Höhepunkt aus chemischen Gründen: Die Konzentration des gelösten Kalks im Wasser verringert sich durch den schon abgelagerten Kalk, bis schließlich das Löslichkeitsprodukt von CaCo3 unterschritten ist.
Der Handel mit dem ausgebrochenen „Marmor“, er hat ein lebhaftes Farbspiel und ist fein geädert, muss seit dem Mittelalter eine regelrechte Industrie gewesen sein. Er wurde sogar im dänischen Roskilde entdeckt.
Wer heute in der Bad Münstereifeler Pfarrkirche die Altarplatte etwas genauer betrachtet, oder die Säulen des „Marmor-Baldachins“ am Altar der Basilika von Maria Laach bestaunt, der blickt auf Kalksinter aus der römischen Eifelwasserleitung. (sli)
INFO
„Wie das Wasser laufen lernte“ heißt das Motto des „„Römerkanal-Infozentrums“ in Rheinbach, wo eine Ausstellung das Bauwerk erklärt: „Römerkanal-Infozentrum, Himmeroder Wall, 53359 Rheinbach, Öffnungszeiten: Dienstag-Freitag von 10-12 und von 14-17 Uhr, Samstag und Sonntag von 11-17 Uhr, Montag geschlossen.
Professor Klaus Grewe, der als ausgewiesener Experte rund um den „Römerkanal“ gilt, ist Wissenschaftlicher Berater des Freundeskreises „Römerkanal“ e.V. Vermessungstechniken, Baumaterialien, Streckenverlauf und vieles mehr werden auf der Homepage des Vereins vorgestellt und Führungen zum Thema angeboten: www.freundeskreis-roemerkanal.de
Der „„Römerkanal“-Wanderweg“ ist der älteste Themenwanderweg des Eifelvereins und folgt der Trasse vom „Grünen Pütz“ in Nettersheim bis zur Einspeisung ins ehemals römische Wassernetz in Köln im heutigen Stadtteil Sülz. Zu dem Weitwanderweg über 120 Kilometer und sieben Etappen gibt es einen empfehlenswerten informativen Wanderführer, der auch die 52 Aufschlusspunkte und Baudenkmäler entlang der Trasse erklärt: „Der „Römerkanal-Wanderweg – wie das Wasser laufen lernte“, Klaus Grewe und Manfred Knauff, herausgegeben vom Eifelverein e.V., Düren, 2. Auflage 2019, 16,95 €, ISBN 978-3-944620-27-5