Das kleinste Museum der Eifel
„Wir waren eigentlich … Spinner“. Leonie Simons meint das scherzhaft, doch ein Körnchen Wahrheit ist ja doch dabei. Denn in dem kleinen Weiler Welchenhausen ein Kunstmuseum eröffnen zu wollen – was sollte das schon anders sein als eine verrückte Idee? Aber manchmal, und da funkeln ihre Augen, geht es eben einfach nicht anders. Wenn man wie sie an eine Sache glaubt und für eine Idee brennt.
Nach Welchenhausen kommt man aber eigentlich gar nicht. Schon Lützkampen im tiefen Islek zu finden - zu dem Ort in der Verbandsgemeinde Arzfeld gehört der Weiler, ist ohne ein gutes Navigationssystem für den Ortsunkundigen schwierig. Doch dann geht es ja erst noch aus dem Ort hinaus, durch Wald, man wird vom „Bundeslandschild“ am Rand der Kreisstraße verabschiedet: „Auf Wiedersehen in Rheinland-Pfalz“ und ist dann – im Niemandsland. In Welchenhausen aber immer noch nicht.
Denn davor geht es erst noch ein paar Serpentinen in Richtung des Oberen Ourtals hinab, jenseits des Grenzflusses ist schon Belgien. Da tauchen ein paar Häuser auf, die Spitze einer kleinen Kapelle etwas unterhalb der Straße am Hang - und Leonie Simons winkt energisch: Jetzt hier, vor einer Reihe überlebensgroßer Foto-Bannern von „Ourmenschen“ des belgischen Fotografen Willi Filz auf einer Hangwiese an der Straße bitte das Fahrzeug parken. In Sichtweite ist das Dorf schon zuende. Zuvor aber ist man mitten drin in der Kunstwelt der „wArtehalle Welchenhausen“.
Es ist ein Buswartehäuschen. Und das ist der 1995 gebaute Unterstand, der seit 2002 als die „wArtehalle“ auf rund zehn Quadratmetern das kleinste Museum mindestens der Großregion ist, bis heute immer noch. Es gibt ja immerhin zwei Schulkinder und zwei Jugendliche unter den aktuell 30 Einwohnern im Minidorf. Meint Leonie Simons, die es wissen muss, immerhin war sie von 1999 bis 2004 Bürgermeisterin von Lützkampen. Aber vorsichtshalber hat sie gerade noch mal gegenüber nachgefragt. 30 – und alle, vom Schulkind bis zur Rentnerin – sind seit 18 Jahren kunstbegeistert.
Ja, das sei 2002 der Anruf des kunstbegeisterten Lehrers Bernd Kersting gewesen, der das alles auslöste, meint Leonie Simons, die ein Jahr später erste Vorsitzende des Museumsvereins „wArtehalle Welchenhausen“ wurde. Kersting, 2014 verstorben, sah den Sinn des Häuschens mit dem Unterstand für die Fahrgäste des Öffentlichen Personennahverkehrs schlicht untererfüllt. Warum nicht ein Museum daraus machen?
„Ich war sofort fasziniert von der Idee“, strahlt Simons. Sie war nicht die Einzige. Dabei habe im Dorf bis dahin durchaus die Meinung geherrscht: „Ein Museum, da kommen wir nie hin. Wann, wo, wie denn?“ Seit 18 Jahren haben die Welchenhausener nun ihr eigenes. „Das“, so Simons, die den Museumsverein seit gut einem Jahr wieder leitet, nenne sie „ein Projekt gelebter Dorferneuerung pur!“ Dem Vorhaben stimmte auch der Lützkamper Gemeinderat nach kurzer Diskussion zu. Und die Welchenhausener packten an:
Ein alter Schuppen neben der „wArtehalle“ wurde überdacht, es wurden Stühle und Bänke geschleppt – fertig ist der Platz für die Vernissagen von in der Regel vier Wechselausstellungen pro Jahr. Im Museumsraum selbst ist dafür ja einfach nicht der Platz. Im „White Cube“ wurden die Wände gestrichen, davor robuste, selbst gebaute Stellwände geschraubt für die Kunst. Im Winter gerne versiegelte Fotografien, schon wegen der Außentemperaturen. Die können hier am Hang oberhalb der Our auch mal etwas kälter sein. Und da das Museum, das ein Wartehäuschen ist, ja keine Türe hat, nur drei Fenster, heißt es dann auch mal: Schnee schippen für die Kunst!
An die 4000 Besucher kommen in "nicht-Corona-Jahren" zur "wArtehalle".
Und für wen sonst? 2003 zimmerte ein Jungschreiner aus dem Dorf ein Pult fürs Gästebuch. Seitdem haben es die Kunstfreunde schriftlich: An die 4000 Besucher kommen pro Jahr ins Open-House-Museum. Aus ganz Europa. 140 Mitglieder hat der gemeinnützige Trägerverein – da sind die allermeisten nicht aus dem Dorf, nicht aus dem Umland, sondern aus Belgien, Luxemburg und ganz Deutschland.
Die Welchenhausener machen das bis heute mit, auch weil die Kunst, die hier gezeigt wird, oft mit ihnen selbst und dem besonderen Leben hier im Dreiändereck der Gemeinden Lützkampen, Burg Reuland (Belgien) und Clerf/Clervaux (Luxemburg) zu tun hat. Gerade im Winter sind sozialgeschichtliche Themen Gegenstand von Fotodokumentationen etwa in der 2004 übernommenen Kunst-Dependance im 2,6 Kilometer entfernten deutsch-belgischen Doppel-Grenzdorf Stupbach/Stoubach. Dort ist das ehemalige Feuerwehrspritzenhaus heute ebenfalls eine kleine Galerie.
Grenzüberschreitend waren die wichtigsten Skulpturenprojekte des Welchenhausener Museumsvereins, und das ganz bewusst: „Die Menschen, die hüben und drüben leben, fühlen sich als Einheit, über die Ländergrenzen hinweg“, betont Leonie Simons. Umso schlimmer sei der zurückliegende Corona-Lockdown mit der Sperrung der Ourbrücken gewesen.
Den Europa-Gedanken leben – dem diente schon das internationale Ausstellungsprogramm zum „Brückenfest“ 2005: In Scheunen, Schuppen auch Kindergärten zwischen Lützkampen, Burg Reuland und Weiswampach stellten 30 Künstler aus der Grenzregion ihre Arbeiten aus, dazu Kinder aus Kitas der Grenzregion.
2007 beteiligte man sich am „hART an der Grenze“-Programm zum Kulturhauptstadtjahr in Luxemburg. Damals entstanden die „Ourmenschen“-Bannerfotos, die heute in Welchenhausen und auch in Stupbach zu sehen sind.
Bald darauf – nebenbei sei es bemerkt – schenkte eine Welchenhausenerin den Museumsbetreibern den nötigen Grund und Boden zur Anlegung eines Besucherparkplatzes und einer Wiese angrenzend an die „Vernissage-Halle“. So hat man als Kulturfreund an einem äußersten Zipfel Deutschlands das Privileg lauter ganz kurzer Wege. Längere wären aber auch schlecht möglich.
Zwei internationale Großprojekte für den kleinen Museumsverein endeten 2018 und begannen 2019. Entlang der „KultOUR-Talstraße“ wurden bis 2018 Skulpturen bis zum Nachbarort Stupbach aufgestellt. 2019 folgte ein internationales Bildhauer-Symposium mit neun Künstlern und Künstlerinnen aus Deutschland, Belgien und Luxemburg. Sie bezogen für einen knappen Monat ein Open-Air-Atelier am Brückenplatz unterhalb von Welchenhausen.
Auf dem "Skulpturenweg Welchenhausen" entdeckt man nicht nur Kunst, sondern auch grenzüberschreitende Blickwechsel über die Our.
Es entstanden zehn Arbeiten, die meist das Thema Grenze, Grenzerfahrung, Grenzüberwindung haben. Werner Bitzigeio aus Winterspelt schuf für den Standort Lieler (Luxemburg) im Dreiändereck einen fünf Meter hohen begehbaren Kubus aus transparenten Stahlmatten; der „Brückenschlag“ von Christoph Mancke aus Lünebach im Ourtal wurde bewusst auf der belgischem und deutschen Uferseite aufgestellt und ist über eine Blickachse verbunden.
Alle zehn Arbeiten markieren über 15 Kilometer den neuen „Skulpturenweg Welchenhausen“. An allen Standorten auf dem Rundwanderweg finden die Wanderer Objekttafeln mit QR-Scan-Codes für weitere Informationen per Smartphone. Es werden Flyer gedruckt und am Start- und Zielpunkt, dem Spritzenhäuschen in Stupbach, sowie am Museum, in Ouren und am Dreiländereck eine Überblickskarte aufgestellt. Für dieses Projekt bewilligte der Kreistag in Bitburg im vergangenen Jahr die 150.000 Euro-Jahresspende der Bitburger Dr. Hanns-Simon-Stiftung.
Im Sommer 2020 kam eine weitere öffentliche Anerkennung für das ehrenamtliche Engagement der Welchenhausener und ihrer Freunde im Grenzgebiet dazu: Die Kreissparkasse Bitburg-Prüm verlieh den diesjährigen Preis für die „Alltagshelden“ stellvertretend für alle tatkräftigen Helfer des Museums an Lothar Becker, Siegfried Meifert, Michael Klimkeit und Rudy Lallemont. 250 Euro fließen in die Museumsvereinskasse.
Unterdessen hatten auch die Freunde alles Kreativen aus dem Kunst-Weiler Corona-Zwangspause. Seit 2002 fanden 60 Ausstellungen statt, doch 2020 nur eine Fotoaustellung und keine Vernissage. Das soll sich 2021 wieder ändern, wenn neben der feierlichen Eröffnung des neuen „Skulpturenwegs Welchenhausen“ auch wieder Wechselausstellungen folgen. „Und im Winter 2021/22 planen wir ein Projekt zum Westwall“, so Vereinsvorsitzende Leonie Simons.
Entlang des Ourtalwanderweges sind schließlich immer wieder Reste gesprengter Bunkeranlagen der einstigen „Siegfried-Linie“ der Wehrmacht zu sehen. An der Tintesmühle gelang der US-Armee die erste Ourüberquerung von Luxemburg nach Deutschland.
Touristische Hinweisschilder machen schon bald die Anreise leichter.
Seit 18 Jahren ist so im klitzekleinen Welchenhausen „auf einmal was los“, kann sich Leonie Simons immer noch begeistern. Dank Kunst. Wahrscheinlich war das nicht, aber es hat bei den Menschen im Minidorf offenbar einen Nerv getroffen. Und Kirchenführungen durch die ebenfalls von der Dorfgemeinschaft restaurierte Cornelius-Kapelle mit einem wertvollen Barockaltar sind ja auch noch im Angebot.
Das alles macht den 30 Bewohnern von Welchenhausen so schnell keiner nach. Zur Nachahmung ist es aber doch empfohlen.
Das „Museum wArtehalle“ und den Skulpturenweg findet man übrigens bald schon leichter: Fünf touristische Hinweisschilder – das sind die braunen mit weißer Schrift – „stehen zur Montage bereit“, freut sich Leonie Simons. Und es fährt ja auch ein Bus. Die Linie 419 hält in Welchenhausen, am Wartehäuschen, das ein Museum ist.
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