Wasserkraft, Natur und Wallfahrt
Heimbach, die mit rund 4300 Einwohnern kleinste Stadt Nordrhein-Westfalens, wird schnell unterschätzt. Dabei ist die Geschichte des Burgortes durchaus bemerkenswert.
1972 war ein Jahr, das alte Heimbacher und Heimbacherinnen nicht vergessen. Der Burgort an der Rur hatte über die Jahrhunderte wechselnde Zugehörigkeiten erlebt: Einst zu den Karolingern unter der Herrschaft Lothar II. gehörend, dann mehr als acht Jahrhunderte lang Teil des Herzogtums Jülich, seit 1815 zu Preußen, dann ab 1829 dem Kreis Schleiden angegliedert, veränderte das „Aachen Gesetz“ vom 2. Januar 1972 noch einmal alles. Heimbach verlor im Zuge der Kommunalreform seine Eigenständigkeit und sollte ein Stadtteil Nideggens, wenige Kilometer rurabwärts, werden. Alleine der Gedanke ist für lokalpatriotische Heimbacher eher ein Graus.
Die Schmach währte fünf Monate, dann hatten die Proteste Erfolg und Heimbach erlangte nach einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes in Düsseldorf seine Eigenständigkeit wieder.
Solche Anekdoten machen klar: Der Burgort an der Rur mit seinen Stadtteilen Hasenfeld, Hausen, Blens, Hergarten, Düttling und Vlatten ist nicht nur seit wenigen Monaten die kleinste Stadt Nordrhein-Westfalens, sondern immer schon etwas Besonderes gewesen.
Auch die Rurtalbahn ist für den Rureifel-Tourismus wichtig
„Heute lebt Heimbach in allererster Linie vom Tourismus“, so René Wißgott, Geschäftsführer der Rureifel Tourismus e.V. mit Sitz im „Nationalparktor Heimbach“, dem alten Bahnhof, wo auch das „Mäxchen“, die 1903 in Dienst gestellte Rurtalbahn Düren – Heimbach ihre Endstation hat.
An die 280.000 Übernachtungen haben die Touristiker pro Jahr in und um Heimbach schon gezählt in Vor-Corona-Jahren. Der Großteil kommt von den Gästen in den 1000 Betten des Dormio Resorts „Eifeler Tor“ oberhalb der Siedlung Schwammenauel an der Rurtalsperre.
Aus der 1938 in Betrieb genommenen Talsperre wie der schon 1904 eingeweihten Urfttalsperre gewinnt der Energieversorger RWE Strom aus Wasserkraft für große Teile der Anliegergemeinde an der Rur wie auch die Industriebetriebe in und um Düren. Es sind geschätzt rund 27 Millionen Kw pro Jahr. Zusammen mit Solaranlagen und bislang elf Windkraftenergieanlagen bei Vlatten, von denen acht repowert werden sollen, könnte Heimbach so bezogen auf die Einwohnerzahl sich vermutlich sogar „Green City“ nennen.
Etwas anderes muss nicht erst ausgerechnet werden, sondern ist unübersehbar: Die ersten Ergebnisse des rund 6,5 Millionen Euro schweren Stadtentwicklungskonzeptes in Heimbach, das vorhergegangenen Dorfentwicklungskonzepten etwa in Hergarten und Hausen folgt. Im Kernort wurde eine neue Promenade angelegt, die alte stammt noch aus den 1980er Jahren. Im Bereich der Bücke „Über Rur“ sollen die „Rurterrassen“ entstehen, so Bürgermeister Jochen Weiler. Die Außengastronomie erhält so neue Flächen, das Terrassenprojekt soll zudem den Anschluss an den Kurpark oberhalb der Burg Hengebach bilden.
Weitere Maßnahmen des aus Mitteln der Städtebauförderung sowie einer Eigenbeteiligung der Stadt finanzierten Projektes, das 2023 abgeschlossen sein soll, sind die Sanierung der Hengebachstraße und ein Fassaden- und Hofprogramm für private und gewerbliche Hausbesitzer.
Der "Heimbach-Effekt" und der Leerstand mitten im Ort
Heimbach will sich schöner machen – nicht nur für Urlauber aus dem Köln-Düsseldorfer Raum und viele Gäste aus den Niederlanden, für die die Stadt im Rurtal die erste intensive Eifel-Erfahrung bei der Anreise aus den Ballungsgebieten ist. „Wenn sie hier ankommen, dann legen viele Gäste einen Schalter um: Sie sind im Urlaub!“ So beschreibt Bürgermeister Jochen Weiler den „Heimbach-Effekt“.
Die Notwendigkeit eines solchen Sanierungsprogramms entlang der Hauptstraße, der Hengebachstraße, ist allerdings auch unübersehbar. Zahlreiche der alten Gebäude seien nach dem Krieg – Heimbach wurde im Winter 1944 zu 80 Prozent zerstört - mehr schlecht als recht wiederaufgebaut worden, so Peter Cremer, der von 2014 bis 2020 Bürgermeister war. Er ist Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Heimbach Wallfahrt und des Geschichtsvereins und kennt natürlich den Sanierungsbedarf seiner Heimatstadt. Dabei machen neben allem Leerstand der Einzelhandel und die Gastronomie dennoch einen quirligen Eindruck.
Das alte Heimbach, von dem heute neben der Burg nicht mehr viel übrig ist, muss einmal ein rechtes Schmuckstück gewesen sein, erzählt Cremer bei einem kleinen Stadtspaziergang. Im aktuellen Jahrbuch des Kreises Düren, zu dem Heimbach seit der Kommunalreform 1972 gehört, ist nachzulesen, dass der Ort einmal sogar als „Musterdorf“ geplant war.
So seien von den Nationalsozialisten Pläne entwickelt worden die Burg Hengebach zum „Westmarkmuseum“ auszubauen. Im Ortskern sollten große Aufmarschplötze geschaffen werden, sogar Varianten einer Umgehungsstraße entlang der Hänge der drei Heimbach umstehenden Berge Meuchelberg, Eichelberg und Bildchesberg wurden entwickelt. Aus den Plänen wurde nichts.
Anderes aber blieb: Seit 1804 ist Heimbach Wallfahrtsort. Im Zuge der Säkularisation war damals die gotische Pieta aus der Klosterkirche von Mariawald oberhalb des Ortes im Kermeter nach Heimbach gebracht worden. Jahrzehnte lang fand die Anbetung dann in der Pfarrkirche St. Clemens statt.
In Vor-Corona-Jahren kamen bis zu 65.000 Pilger nach Heimbach
Doch die Zahl der Wallfahrer – vor allem während der in der Pilgerszene bekannten „Wallfahrt-Oktav“ in der Woche ab dem 2. Sonntag im Juli (2022 vom 3. bis 10. Juli) wuchs stetig. „Vor Corona waren es durchaus zwischen 50 und 65.000, in den beiden letzten Jahren aber nur noch um die 10.000“, so Peter Cremer.
Pfarrer Olivier, der von 1975 bis zu seinem Tod 2001 die Heimbacher Pfarrei leitete, ließ der Ansturm nicht ruhen. Er setzte sich beim Bistum Aachen erfolgreich für den Anbau einer großen Wallfahrtskirche Ende der 1970er Jahre ein. Hierhin wurde das Gnadenbild in einem wertvollen barocken Antwerpener Schnitzaltar versetzt. Ein weiteres Schmuckstück des neuen Gotteshauses sind wertvolle Fenster mit liturgischen Motiven von Georg Meistermann.
Für Touristiker René Wißgott ist die Wallfahrt nur eines der Alleinstellungsmerkmale von Heimbach, die Burg Hengebach, seit 1979, dann wieder seit 2012 im Besitz der Stadt Heimbach, ist es noch mehr. Dabei ist das Wahrzeichen der Stadt „auf das sich auch die Einwohner aller Stadtteile als identitätsstiftend einigen können“, so Bürgermeister Jochen Weiler, nach Kriegszerstörungen zunächst eine Ruine und willkommener Steinbruch für den Wiederaufbau zahlreicher Wohnhäuser unterhalb im Ortskern gewesen. 1969 bis 1971 erfolgte dann die erste Burgrettung durch den Kreis Düren. Dabei wurden allerdings – ganz den damaligen Leitlinien des Denkmalschutzes folgend, Neues auch so kenntlich zu machen und nicht zu historisieren – gewaltige Betonplomben verbaut.
Danach war die Burg einige Jahre in Privatbesitz, bis der Besitzer 2008/2009 zwei Millionen Euro investierte um damit den Grundstein zur 2009 gegründeten „Internationalen Kunstakademie Heimbach“ zu legen (siehe EXTRA). Seit 2012 ist die Burg Hengebach wieder in Besitz der Stadt Heimbach.
Auch wenn das Augenmerk beim Besuch im kleinen Städtchen dem Wahrzeichen auf dem Felsen über der Rur liegt, vergessen sollte man die Stadtteile von Heimbach deshalb nicht. Angefangen vom Stadtteil Hasenfeld, ohnehin von der Bevölkerungszahl größer als der Hauptort, durch den eine der beiden Straßen zum Rursee führt.
Die Bördedörfer zwischen Heimbach und Nideggen werden mit eigenen Rundwegen und "Blicken" vermarktet
Hasenfeld sei bei allem Lokalpatriotismus aber nie eine eigenständige Gemeinde gewesen, so Peter Cremer. Eingemeindet wurden auch Hausen und Blens, rurabwärts gelegen, und die drei Bördedörfer Hergarten, Düttling und Vlatten. Mit Dörfern des Stadtgebietes Nideggen wird das Trio gemeinsam touristisch vermarktet. Es gibt alleine acht „Dorfspaziergänge“, sechs „Bördeblicke“, sechs „Bördewanderungen“ und drei „Börderadtouren“.
Rund um Vlatten findet die Stadt zudem die einzigen Flächen für Neubaugebiete. Die aktuell 16 angebotenen Bauplätze waren schnell verkauft. Das enge Rurtal hat dafür keine Optionen mehr, zumal große Teile der Eifellandschaft drum herum zum Nationalpark Eifel gehören oder FFH-Schutzgebiet sind.
Durchs Stadtgebiet führt zudem etwa die Mehrtagestour „Wildnis Trail“ des Nationalparks Eifel, Heimbach ist seit 2004 offiziell „Nationalparkstadt“. Alleine zwölf Spaziergänge und Kurzwanderungen für Familien zwischen zwei und acht Kilometern sind dazu in der Sammelmappe „Wanderland Rureifel“ zu finden.
Für seine 4328 Bürgerinnen und Bürger (Stand: 31.12.2020) ist Heimbach ein Grundversorgungszentrum, das allerdings neben einem Kindergarten und einer Grundschule keine weiteren Betreuungs- oder Bildungseinrichtungen hat. Schulkinder pendeln nach Nideggen, Gemünd, Schleiden oder – im Falle des nördlich gelegenen Vlatten – sogar bis nach Zülpich.
Für den kleinen täglichen Einkaufsbedarf oder zum Arztbesuch bietet der „Bürgerbus Heimbach“ speziell der älteren Bevölkerung auf den Dörfern seinen Fahrplan an. Die Rurtalbahn ist wichtige Verbindung in die Kreisstadt Düren.
Die Enge der Topografie gibt Grenzen vor
Die Enge der Topografie ist eben schon immer prägend für die kleine Stadt an der Rur gewesen. Einst war Heimbach auch wegen seiner abgeschiedenen Lage eine „eher ärmliche Eifelecke mit kleinen Bäuerlein, wenigen Handwerkern und Tagelöhnern“, weiß Peter Cremer von der Arbeit in seinem Geschichtsverein. Auch die „Heimbacher Stühlchen“ stehen symbolisch für diese Geschichte. Zwei der Kinderstühle aus Bronze stehen seit wenigen Jahren an der Teichstraße, einer der wenigen erhaltenen alten Gassen Heimbachs.
Die „Stühlchen“ wurden über Jahrhunderte von den Heimbachern über die Wintermonate in Heimarbeit aus Buchenholz hergestellt. „Die Bevölkerung hatte das Recht, im Kermeter Buchen zu schlagen“, so Peter Cremer. Das nutzten die Heimbacher nicht nur für Brennholz oder zum Hausbau, sondern auch zur Kleinmöbelproduktion.
Die „Stühlchen“ wurden zum Verkauf auf die regionalen Märkte gebracht. Und das geschah mit den „Heimije Äseln“, den Eseln. Dem Tragetier ist seit dem vergangenen Jahr eine Bronzeskulptur am Kreisverkehr unweit des „Nationalparktors“ gewidmet.
Wo der „Heimije Äsel“ so an die Vergangenheit erinnert, leitet anderes Historisches in die Gegenwart: Seit 1998 wird aus dem Wasserkraftwerk Heimbach der RWE das Kammermusikfestival „Spannungen“ übertragen. Ein Musikevent aus dem Jugendstilkraftwerk mit bundesweiter Strahlkraft, initiiert vom Pianisten Lars Vogt. „Für Heimbach ist das ein Geschenk“, freut sich Bürgermeister Jochen Weiler. Doch ein Musikfestival aus einem Industriemuseum ist es nicht, auch wenn historische Turbinen im Konzertsaal den Gedanken nahelegen. Dahinter finden sich Energieerzeuger, die nach wie vor ihren Dienst tun, aber nur bei eigenen Werksführungen besichtigt werden können.
Angetrieben werden die Turbinen über den Kermeterstollen, der 67 Höhenmeter oberhalb des Kraftwerkes in zwei Druckrohre übergeht und eine Wassermenge von 16 m³/s abgibt. Das Kraftwerk war 1905 bei der Einweihung mit einer Leistung von 12 Megawatt das größte Speicher-Wasserkraftwerk Europas.
„Alles funktionsfähig und in Ordnung“, so Bürgermeister Weiler. Das hat er seit 2020 schriftlich: Damals wurde turnusgemäß wie alle 20 Jahre wieder der Pegel des Urftsees soweit gesenkt, dass ein Inspektionsgang durch den Stollen möglich war. Kirche, Natur, Burg und Wasserkraft – darum kreist in Heimbach eben vieles. (sli)
INFO: www.heimbach.de
EXTRA
Die Internationale Kunstakademie Heimbach
Er habe da so eine Burg, die ein bisschen vor sich hingammele, soll Bert Züll, Alt-Bürgermeister von Heimbach, Mitte der Nuller Jahre dieses Jahrhunderts gesagt haben, und so seinen Teil zur Gründung der Internationalen Kunstakademie Heimbach beigetragen haben. Züll, Wolfgang Spelthahn, Landrat des Kreises Düren, und vor allem Professor Dr. Frank Günter Zehnder waren es dann, die aus einer Idee eine mittlerweile weithin anerkannte und bekannte Bildungs- und Ausbildungsinstitution auf der ehrwürdigen Burg gemacht haben.
Bis es soweit war, habe es allerdings drei Fragen gegeben, erinnert sich Professor Zehnder: „Was sagt der Denkmalschutz, woher kommt das Geld und welche Struktur wollen wir?“ Der Denkmalschutz machte zur Auflage, dass nur eine Innensanierung der Räume möglich sei. Zum Glück waren das Dach und auch die Heizung der damals in Teilen privat genutzten Burg soweit in Ordnung.
Doch wie barrierefrei – ein weiteres Ziel der Umnutzung - in die Burg kommen? Der Plan sah schließlich vor in der vorgelagerten Alten Burgvogtei an der Hengebachstraße nur Ausstellungs-, Verwaltungs- und kleinere Werkstätten einzurichten, alle eigentlichen Ateliers aber in den Etagen des einstigen Pallas.
Das Problem löst ein vierfacher Aufzug vom Burghof hinauf zum Burgturm. Auf den Bau entfiel der Großteil der rund zwei Millionen Euro teuren Kosten für Sanierung und Umbau der alten Burg zur Kunstakademie, bereitgestellt vom damaligen Besitzer der Burg. Heute finanziert sich die Kunstakademie aus Kursgebühren, einem Zuschuss des Landkreises Düren und Spenden über den wichtigen Trägerverein Kunstakademie Heimbach e.V.
Schließlich musste geklärt werden welches inhaltliche Konzept umzusetzen sei. Professor Zehnder zog dafür die Künstler Herb Schiffer, Otmar Alt und Arnold Schlader zu Rate. „Wir haben uns für ein qualifiziertes Angebot von Profis für Laien entschieden“, so Zehnder, „Künstlerinnen und Künstler aus allen Teilen der Welt sollen Techniken und künstlerische Souveränität vermitteln, aber nicht ihre künstlerische Handschrift!“
Mehr als 1300 Kurse sind in den vergangenen 13 Jahren so von der Internationalen Kunstakademie Heimbach angeboten worden. 51 Dozenten und Dozentinnen aus 19 Nationen haben Techniken und Wissen an rund 8000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus ganz Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg vermittelt, darunter viele Kurse auch für Kinder und Jugendliche. Ergebnisse dessen, was in einem Werkstattjahr in den Ateliers entsteht, wird in der alljährlichen „Werkschau“ gezeigt. Gerade wurde die 77. beendet.
Er habe die Entscheidung, die Kunstakademie zu leiten nie bereut, so Professor Dr. Frank Günter Zehnder. Dabei war der heute 84-Jährige im Jahr der Akademiegründung 2009 schon lange im verdienten Ruhestand: „Ich bin Kunsthistoriker. Kunst zu vermitteln, das ist mein Beruf“, schmunzelt Zehnder, der als Ausstellungsmacher unter anderem 1998 im Wallraff-Richarz Museum die Schau „Stefan Lochner – Ein Meister aus Köln“ kuratierte und bis zur Pensionierung das Rheinische Landesmuseum Bonn führte.
Auch seinem Idealismus und internationalen Netzwerk verdankt Heimbach, dass die Stadt mit Akademie - und dem Kammermusikfestival „Spannungen“ - einen Ruf als Kunst- und Kulturstandort bekommen hat. Schon 2012 wurde die Internationale Kunstakademie Heimbach mit dem „Eifel Award“ ausgezeichnet. (sli)
INFO
www.kunstakademie-heimbach.de