„In der Eifel kann man glücklich sein!“
Das sagt Norbert Scheuer, einer der bekanntesten deutschen Gegenwartsautoren und gebürtiger Eifeler. Der 70-Jährige stammt aus Prüm und lebt in Kall-Keldenich. „Kall, Eifel“ heißt auch der 2005 veröffentlichte Episodenroman über seinen Wohnort und die Nordeifel, mit dem er bundesweit bekannt wurde. Es folgten erfolgreiche Romane wie „Überm Rauschen“, „Die Sprache der Vögel“ und zuletzt, 2019 „Winterbienen“. Für Eifel hautnah wurde er grundsätzlich: Die Eifel, was sie für seine Literatur bedeutet - und die Eifel als Sehnsuchtsort und Heimat.
Herr Scheuer, Sie gelten – unter anderem - als der bedeutendste zeitgenössische Eifel-Autor. Ein Missverständnis?
Scheuer: Das ist gleich zu Beginn eine sehr kluge und schwierige Frage, weil sie so viel impliziert und gleichzeitig wiederum nichts. Irgendwie steuern Sie da auf ein Feld zu, bei dem wir uns über die Bedeutung von Bedeutung unterhalten müssten und was ein Eifel-Autor eigentlich ist. Für mich gibt es eigentlich keine Eifel-Autoren, sondern nur Autoren, die über eine bestimmte Gegend schreiben, einem literarischen Autor, um das etwas zu präzisieren, geht es eigentlich nur um sich, um seine Sicht der Wirklichkeit, die sich letztlich irgendwie auf die Gegend in der er lebt bezieht.
Was kann die Eifel Ihnen als Autor geben, was Sie anderswo nicht finden würden?
Scheuer: Ich habs geahnt, denn in dieser Antwort widerspreche ich mir schon jetzt. Ich bin in Prüm geboren, in der Eifel aufgewachsen und habe den größten Teil meines Lebens hier zugebracht und, wenn ich nicht auf einer Lesereise oder einer der wenigen anderen Reise sterbe, dann werde ich wohl auch in der Eifel sterben, was mir der angenehmste Ort dafür von allen wäre. Ich bin in meinem Leben gar nicht so viel aus der Eifel rausgekommen, bis ich zwanzig war so gut wie überhaupt nicht, ich glaube ich war bis dahin einmal kurz in Köln und einmal in Trier.
Eigentlich begann mein Abschied aus der Eifel erst mit meinem ersten Studium, ich hätte von meiner Ausbildung her Elektrotechnik studieren müssen, habe mich dann aber für Physikalische Technik entschieden, nur weil die Hochschule sich mitten im Wald auf einem Berg befand und mich an die Eifel erinnerte. Alle mich prägenden Eindrücke stammen aus der Eifel. Ich glaube, ich unterscheide mich da nicht sonderlich von anderen Autoren. Sie alle haben ihre Jugend in einem bestimmten Landstrich gelebt.
Ist Ihre literarische Hauptfigur Egidius Arimond eigentlich ein Eifeler, hat er eifelerische Züge, wie Sie sie wahrgenommen haben oder aus der Nachbarschaft an Ihrem Wohnort bei Kall kennen?
Scheuer: Ich verrate Ihnen jetzt etwas, was ich bis vor einigen Jahren noch verheimlicht hätte. Arimond ist der Familienname meiner Mutter. Es gab in Prüm eine Gaststätte Arimond in der Spiegelstraße, da liegt vielleicht der Anfang von allem, was dann aber viel weiter zurückreicht bis ins Mittelalter, kein Wunder bei einer so geschichtsträchtigen Stadt. Und natürlich haben meine Figuren Charakteristika der Eifeler, aber was heißt das, sind doch alle Menschen in ihrem Wesen gleich. Literatur funktioniert ja so wie ein Spiegel, man liest in dem Leben der anderen seine eigene Welt, deswegen redet man ja auch von Weltliteratur und meint damit, egal wo die Geschichte spielt, diese Geschichte könnte sich überall so ähnlich abgespielt haben, auch in der Eifel. Das ist meiner Meinung nach das Kennzeichen von guter Literatur. Also Egidius Arimond ist ein typischer Eifler und eben ein Weltbürger.
Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass Leser Ihrer Bücher die dort beschriebenen Örtlichkeiten mit dem Buch in der Hand suchen - und finden können? Sehen Sie sich – nebenbei - als Eifel-Reiseführer wider Willen?
Scheuer: Das ist ein seltsames Phänomen. Also die Leute kommen in die Eifel und laufen auf den Routen des Steinsammlers und finden tatsächlich auch ein paar Versteinerungen oder sie trinken in der Cafeteria des REWE Marktes in Kall einen Kaffee und sehen die Grauköpfe dort sitzen oder sie gehen zum Rauschen. Aber was sie sehen sind die Bilder in ihrem Kopf, die die Geschichten erzeugt haben. Wir setzen uns unsere Wirklichkeit an Hand von Rastern zusammen, in der Philosophie nennt man das Konstruktivismus.
Scheuer: In gewisser Weise ist das „Urftland“ in meinen Romanen ein erfundener Begriff. Als ich meine ersten Romane schrieb, dachte ich nicht an eine Veröffentlichung und ich habe schlicht die Namen benutzt die mir zu passen schienen und es hat ja auch irgendwie gepasst und in der Eifel gibt sehr viele schöne Namen von Dörfern und Gemarkungen und Flüssen, warum sollte man da noch etwas erfinden.
Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Protagonisten aus der Enge der Eifel wegwollen, was typisch sein soll für die jeweils beengte Welt in der man lebt. Aber oft kommen sie genau dorthin auch wieder zurück. Wie wichtig sind diese „Kleinen Fluchten“ aus der Eifel für Sie? Sie machen bundesweite Lesereisen. Wie wichtig ist dann das Zurückkommen?
Scheuer: Ist das nicht irgendwie ein ganz wesentlicher Topos, man ist jung, denkt woanders sei es viel schöner und besser, alles sei dort freier, nur in der Ferne spiele sich das Leben ab und dort müsse man hin. Aber irgendwann begreift man, dass das Leben überall in ähnlicher Weise gelebt wird und das Glück nicht davon abhängt wo man lebt, sondern wie man lebt.
Wenn Sie zurückkehren: An welchen vielleicht topografischen Details merken Sie als erstes: Ich bin wieder in der Eifel?
Scheuer: Ich fahre zu den Lesungen immer mit dem Zug. Hinter Mechernich beginnt für mich die Eifel, die Halden des Bergschadensgebietes und die Keldenicher Kirche oben auf dem Berg. Eigentlich in der Eifel angekommen bin ich erst, wenn ich durch den Tunnel vor Kall gefahren bin.
Es gibt eine schöne Anekdote, die Manfred Lang mir einmal erzählte: Also ein Fremder steigt in Köln in den Zug und bei Erftstadt nähert sich der Zug der Eifel. Der Fremde fragt, ob das jetzt die Eifel sei. Er bekommt zur das Antwort Nein, noch nicht. Der Fahrgast steigt aus und der Fremde fragt nach einiger Zeit wieder jemanden: Ist das jetzt die Eifel, auch von dem bekommt er zur Antwort. Nein, hier ist die Eifel noch nicht. Auch dieser Fahrgast steigt aus und der Fremde hat die Eifel immer noch nicht gesehen. Dasselbe spielt sich in der Nettersheimer Gegend in Gerolstein und Kyllburg ab. Immer bekommt er dieselbe Antwort: Hier ist noch keine Eifel. Bis er endlich von jemandem der Fahrgäste die Auskunft bekommt. Die Eifel, da sind wir ja schon längst durchgefahren, hier ist bereits das Trierer Land. Unter Umständen bin ich selbst der Fremde in dem Zug.
Gibt es für Sie ein „Eifel-Gefühl“?
Scheuer: Also ein spezifisches Wohlgefühl, was von der jeweiligen Eifelregion abhängt, es gibt ja ganz viele unterschiedliche Vegetationszonen und geologische Formationen und das wiederum bedingt eine unterschiedliche Flora und Fauna und selbst soziologisch und sprachlich gibt es Unterschiede, der ripuarische und der moselfränkische Dialekt, ganz zu schweigen davon, das jedes Dorf irgendwie seinen eigenen Dialekt hat. Aber das spezifischste aller spezifischen Eifel-Gefühle ist wohl das Heimatgefühl, ein Gefühl, das einem schlicht sagt, dass man an diesem Ort glücklich sein könnte, ohne genau die imaginären Koordinaten dieses Ortes angeben zu können.
Die Eifel als literarischer Gegenstand ist heute vor allem in den Eifel-Krimis bekannt. Haben Sie eine Erklärung dafür und wollen Sie nicht auch einmal einen Eifelkrimi schreiben?
Scheuer: Wenn ich es könnte, würde ich es machen. Aber wenn man einen Kriminalroman schreibt, geht man meist deduktiv vor, man hat z.B. einen Mord und arbeitet daran, wie man diesen Mord aufklärt, da ist vieles von der Logik und der Konstruktion abhängig und alles was man schreibt muss notwendiger Weise diesen Sachverhalten untergeordnet werden und man darf nicht zu intuitiv oder poetisch werden und sich nicht von der Sprache zu einem Plot treiben lassen, sondern man muss immer die Auflösung des Rätsels im Auge haben.
In der Literatur die ich mache ist das Rätsel eher das Leben und die Sprache. Ich glaube die Eifel hat bereits einige wunderbare Krimiautoren, Michael Preute und Ralf Kramp und bestimmt noch einige andere die ich nicht kenne. Ich würde das nicht so gut hinbekommen wie die genannten.
Welche Bedeutung hat für Sie die Eifel als Kulturlandschaft mit ihren Bräuchen, Sagen, und der immer noch weitgehend eher kargen und je nach Jahreszeit auch immer noch stellenweise rauen Landschaft?
Scheuer: Ich bin in der Eifel aufgewachsen, aber mit einer gewissen Distanz zu den Bräuchen, die ich immer eher als Beobachter wahrgenommen habe. Aber ich glaube, wenn man schreibt wird man zwangsläufig zum Beobachter. In meinem neuen Roman werden die Mythologien der Griechen mit den Sagen und den Geschichten aus der Eifel verknüpft. Und die Jahreszeiten, ich liebe die Veränderungen in der Natur und die unergiebigen Kalkmagerrasen, auf ihnen blühen Orchideen und wachsen Wachholderbäume, es gibt Täler in der Eifel die muten an wie ein antikes Arkadien.
Wie hat sich für Sie die Eifel in den letzten Jahren verändert?
Scheuer: Na, ja die Flutkatastrohe hat vieles verändert. Ich hatte gerade gedacht, die Eifel wäre endlich vom Tourismus entdeckt worden und jetzt ist ein Großteil der Infrastruktur zerstört und die Leute, die in die Eifel kommen, wissen nicht mehr wo sie übernachten sollen und es gibt keine Cafés mehr, eigentlich nichts mehr und die Bahnlinie ist demoliert, irgendwie komme ich mir im Moment vor wie im 19. Jahrhundert mit Internet und Autos und ohne die Kneipen in jedem kleinen Dorf. Aber generell, es gibt diesen Unterschied zwischen Stadt und Land vielleicht gar nicht mehr. Vielleicht ist das Land nur noch eine Randzone der sich immer weiter ausdehnenden großen Städte.
Wenn man Sie fragen würde, was es in der Eifel immer geben sollte, weil es sie so unverwechselbar macht, was wäre es?
Scheuer: Die wunderbare Landschaft, die vielen kleinen Flüsse und Seen und die Menschen und ihre Art zu reden, gerade so viel wie nötig ist, genau wie es in der Literatur auch sein sollte, vielleicht habe ich genau das auch hier gelernt.
Nun noch die Drei-Dinge-auf-eine-Insel-Frage: Was aus der Eifel nehmen Sie mit – Ideen, Gegenstände, Gefühle, Erinnerungen, alles inklusive?
Scheuer: Zwei schwarze Schoten des gelben Ginsters, eine Handvoll Lava- und Kalkstein und meine Erinnerungen.
Kann man die Eifel liebenswert finden? Und wenn ja, warum?
Scheuer: Ein klares ja, aber ich weiß nicht wirklich warum, es gibt bestimmt zu viele Gründe. Welcher Liebende könnte letztlich genau sagen warum er liebt.
Interview: Stefan Lieser
EXTRA
Norbert Scheuer wurde für seine Bücher mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Schon 2001 erhielt er den „Eifel-Literaturpreis“, 2006 den 3Sat-Preis beim renommierten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Seine Bücher standen mehrfach auf der Shortlist des deutschen Buchpreises. Für den Roman „Winterbienen“ wurde er unter anderem mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet. (sli)
Titelbild: Elvira Scheuer
Tags: Eifel hautnah, Eifel