Aus der Eifel in die Welt
Fünf von acht „Hidden Champions“ im Landkreis Vulkaneifel – Unternehmen, die in ihrem Marktsegment zu den deutschen, europäischen oder sogar Weltmarktführern gehören – haben ihren Sitz in der Verbandsgemeinde Gerolstein. „Hier lässt es sich eben gut leben, arbeiten und Geld verdienen“, meint Stefan Mertes, Wirtschaftsförderer der VG.
Oberhalb des Friedhofs, links. Bilstein & Siekermann, seit 1956 in Hillesheim ansässiger Mittelständler der Automotive-Industrie mit aktuell 100 Mitarbeitenden sowie sechs Azubis, ist in „Deutschlands Krimihauptstadt“ eher schwer zu finden. Was wiederum typisch für „Hidden Champions“ ist: Sie residieren meist nicht in großen Industrie- und Gewerbeparks oder einem eigenen „Campus“, sondern so versteckt, wie es ihr Name sagt. Ihr Bekanntheitsgrad ist außerhalb ihrer Branchen oft eher gering.
„Da aber kennt man uns natürlich schon“, betont Bernd Liebmann, Geschäftsführer des Unternehmens, das auf die Entwicklung und Herstellung von Umformteilen aus Metall spezialisiert ist. „Uns findet man, wenn Sie sich unter ihr Auto legen“, schmunzelt Liebmann. Also etwa mit Blick auf den Antriebsstrang eines PKWs. Bei den Produktionsverfahren für Umformteile, Drehteile und Verschlussschrauben hat das Unternehmen, das 2016 ein Tochterunternehmen in der Nähe von Shanghai gegründet hat, einen Spitzenplatz in Deutschland erreicht.
Ein Nischenmarkt, wie ihn fast alle der fünf „Hidden Champions“ auch aus der Verbandsgemeinde Gerolstein besetzen. 2016 und 2018 erhielt Bilstein & Siekermann dafür den „Großen Preis des Mittelstands“, 2019 wurde man als einer der besten Arbeitgeber unter den „Hidden Champions“ ausgezeichnet, weitere Urkunden über Qualitätsauszeichnungen zieren den Empfangsraum am Firmensitz.
Dabei war Bilstein & Siekermann eher aus der Not heraus 1956 nach Hillesheim gekommen. An ihren Ursprungsstandorten in NRW hatten die namensgebenden Gründer schlicht keinen Platz mehr, um zu wachsen. In der Vulkaneifel fanden sie die nötigen Flächen und die Mitarbeiter.
Apropos: Selbst berufserfahrene Fachleute versucht das Unternehmen in der Region zu finden, doch das sei mittlerweile „für uns genauso schwer, wie für alle anderen Betriebe. Der Fachkräftemangel trifft nicht nur Unternehmen im ländlichen Raum“, so Geschäftsführer Bernd Liebmann.
Ausgezeichnete Qualität: Mehrfach ging der "Große Preis des Mittelstands" an Hiden Champions aus der Eifel.
Und welche Vorteile sieht er 65 Jahre nach der Ansiedlung beim Standort in der Verbandsgemeinde Gerolstein? Liebmann beantwortet die Frage so: „Wir stellen immer wieder fest, dass Mitarbeiter sich in und um Hillesheim mit ihren Familien ansiedeln. Sie fühlen sich hier wohl“. Dazu passt, dass die Fluktuation in der Belegschaft nach seinen Angaben eher gering ist.
„Nein!“ meint Bernd Liebmann klar und entschieden auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, Bilstein & Siekermann eines Tages aus Hillesheim zu verlagern, etwa näher an die Ballungsräume an Rhein und Ruhr. Im Gegenteil. 2022 wird am Standort weiter investiert: Eine größere Maschinenersatzinvestition, um die Fertigungskapazitäten auszuweiten, steht an.
Bilstein & Siekermann gehört zu den 146 „Hidden Champions“ in Rheinland-Pfalz, die das Forschungszentrum Mittelstand an der Universität Trier im Auftrag des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministeriums im März dieses Jahres in einer Übersicht vorgestellt hatte. Fünf von acht Unternehmen aus dem Landkreis Vulkaneifel haben ihren Sitz in der Verbandsgemeinde Gerolstein.
"Der große Tofumacher" produziert in der Eifel
Dazu gehört auch die Tofutown.com GmbH, die 1988 in Köln gegründet wurde und im Industrie- und Gewerbepark HiGis bei Wiesbaum, sowie einem weiteren Standort in der Lüneburger Heide ansässig ist. Geschäftsführer Bernd Drosihn hat das Unternehmen mit der Spezialisierung auf fleischlose Lebensmittel erfolgreich mit einer ganzen Reihe von eigenen Produktlabels im Markt platziert.
Mittlerweile wird Bernd Drosihn schon mal „der große Tofumacher" genannt, ein Schuss Selbstironie schwingt da ganz bewusst mit. „Tofu ist gesund, durch das, was es eigentlich nicht hat. Es hat keine tierischen Fette“, klärt Drosihn auf. Tofu habe eben kein Cholesterin. Der „weiße Tofu“ zum Beispiel „hat ungefähr zwölf bis 14 Prozent Eiweiß. Hochwertiges, sauberes, pflanzliches Eiweiß. Weißer Tofu ist kalorienarm. Er hat deutlich unter 200 Kalorien pro 100 Gramm“, so der Fachmann.
So gesund wie Tofu ist das Produkt, das den dritten der fünf „Hidden Champions“ in der Verbandsgemeinde Gerolstein bundesweit bekannt gemacht hat allemal. Nur füllt dieses Unternehmen mit seinem Produktionsstandort sogar große Flächen eines Trockenmaars. Oberhalb von Gerolstein ist die Gerolsteiner Brunnen GmbH & Co. KG Anbieter der meistgekauften Mineralwassermarke auf dem deutschen Markt mit einem Nettoumsatz 2020 von 291,9 Millionen Euro 2020 und einem Absatz von 7,61 Millionen Hektoliter vor allem der bekanntesten Varianten „Gerolsteiner Sprudel“, „Gerolsteiner Medium“ und dem stillen Mineralwasser „Gerolsteiner Naturell“.
Rund 17.000 Besucher kamen in Vor-Corona-Zeiten ins Besucherzentrum von Gerolsteiner.
Da noch von einem „Versteckten Gewinner“ zu sprechen, fällt schon schwer. Der „Brunnen“, wie er früher genannt wurde, beschäftigt 881 Mitarbeitende dazu 53 Auszubildende. Alleine 17.500 Besucher und Besucherinnen kommen pro Jahr zu Werksbesichtigungen in den „Vulkanring“, wie die Postanschrift lautet.
„Ohne die Eifel könnte es unser Unternehmen nicht geben: Wir vertreiben ein Naturprodukt, das direkt aus der Erde unter uns entspringt. Wir tragen den Namen unserer Heimat in unserem Unternehmens- und Markennamen – enger könnte die Verbindung also kaum sein.“ Für Roel Annega, Vorsitzender der Geschäftsführung, ist der Standort Vulkaneifel so etwas wie die Voraussetzung des Geschäftsmodells eines der größten Arbeitgeber in der gesamten Eifel.
Denn seinen besonderen Geschmack verdankt das Mineralwasser von „Gerolsteiner“ schließlich dem Quellort in der Vulkaneifel. Hier trifft Kohlensäure vulkanischen Ursprungs in bis zu 250 Metern Tiefe auf calcium- und magnesiumreiches Dolomitgestein. Dadurch entsteht ein Mineralwasser, das reich an Mineralstoffen ist, aber trotz seiner hohen Gesamtmineralisierung angenehm neutral und erfrischend schmeckt.
„Besucher, die nicht aus der Eifel kommen, sind immer wieder positiv überrascht, wie schön es hier bei uns ist. So ging es übrigens auch mir, als ich zum ersten Mal in Gerolstein war. Man merkt: Die Eifel ist eine Region, in der andere Menschen Urlaub machen“, macht Geschäftsführer Roel Annega aus der Begeisterung für seinen Arbeitsplatz keinen Hehl.
Vielen der Beschäftigten falle die Identifikation mit der Eifel dazu schon deshalb nicht schwer, „weil sie hier ihre Heimat haben“, hat Annega festgestellt. Diese Beobachtung teilt wenige Kilometer das Kylltal abwärts Ralf Scherer, Geschäftsführer Vertrieb & Marketing und Sprecher der Geschäftsführung der FELUWA Pumpen GmbH in Mürlenbach.
Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Entwicklung und Herstellung hochwertiger Verdrängerpumpen zur Förderung abrasiver, aggressiver und toxischer Medien. Die in Mürlenbach gefertigten MULITSAFE® Doppel-Schlauchmembranpumpen sind für heterogene Mischungen mit hohem Feststoffanteil und extreme Fördertemperaturen geeignet und werden zu 85 Prozent in fast 70 Länder exportiert.
Das auf Basis eines bemerkenswert engen Bezugs zur Vulkaneifel, denn trotz des auch bei FELUWA spürbaren Facharbeitermangels sind „97 Prozent unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Leute aus der Region“, so Scherer. Viele von ihnen seien auch privat vernetzt „über Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg“. Zur derzeit 150-köpfigen Belegschaft gehören 25 Azubis aus neun Ausbildungsberufen, darunter zwei dualen Ausbildungsgängen.
Und das alles an einem Standort, der eigentlich gar nicht so optimal erscheint: Parallel zur Eifelstrecke der Bahn und unmittelbar am bewaldeten Steilhang des Kylltals kann FELUWA nur in Längsrichtung weiter wachsen. „Aber das reicht“, versichert Ralf Scherer.
Und auch das „Nadelöhr“ beim Transport der bis zu 150 Tonnen schweren Pumpen vom Werksgelände auf dem Tieflader zu den Häfen in Hamburg, Amsterdam oder Rotterdam schreckt ihn nicht. Bisher habe man noch jeden Transport über die Kyllbrücke in Mürlenbach gebracht, so Scherer.
"Wir leben Region!" - Davon ist man bei Feluwa überzeugt.
„Wir leben Region!“ betont er entschieden, wenn man ihn nach der Verwurzelung des Unternehmens am Standort fragt. Vielfältig seien die Verbindungen zur Vulkaneifel, angefangen von der Betriebskantine, die Essen auch für den Kindergarten in Densborn, ein Dorf weiter, kocht, über die „FELUWA-Mannschaft“ die beim „Vulkanbike-Marathon“ mitfährt bis zu den Events für die Vertriebsabteilung am Nürburgring.
Das, was FELUWA herstellt, ist allerdings bis auf wenige Ausnahmen in der Vulkaneifel selbst nicht zu sehen, dafür aber zum Beispiel „im tiefsten Ural“, so Scherer. Dahin sei etwa 2020 eine in den Einzelteilen bis zu 65 Tonnen schwere Pumpe transportiert worden. Es ging von Mürlenbach nach Lübeck, dann per Fähre durch die Ostsee nach St.Petersburg und von dort noch „2500 Kilometer über Land“, so Scherer. Am Ende waren auch im Bergwerk im Ural die Spezialisten aus Mürlenbach bei der Inbetriebnahme der High-Tech-Pumpe von FELUWA, deren einziges Verschleißteil die Ventile sind, vor Ort.
„Das ist der Normalfall“, so Scherer, auch die Tatsache, dass Kundendelegationen aus China, Russland, der Türkei oder Südafrika ins Kylltal kommen. Da seien sie oft „von der Landschaft begeistert, aber ebenso von der Perfektion unserer Pumpen. Beides ist wichtig“. Weltweit hat sich das Unternehmen, das zur Arca Flow-Gruppe gehört, so einen Namen in seinem Nischenmarkt gemacht“, meint Scherer, „doch schon ein Tal weiter in der Eifel kann es sein, dass uns niemand kennt.“
Dass die Eifel, hier die Vulkaneifel, so einige Beispiele für die „hohe Wohn- und Arbeitsqualität“ liefere, wie VG-Bürgermeister Hans Peter Böffgen betont, zeigt sich auch im kleinen Kalenborn-Scheuren (zusammen rund 450 Einwohner). Im Ortsteil Kalenborn geht es durch die engen Gassen hinauf und fast aus dem Dorf hinaus - dann steht man vor zwei aneinandergekoppelten architektonischen UFOs: Große Panoramascheiben geben unter dem rautenförmigen Dach den Blick frei in die Eifellandschaft. Hier hat sich Matthias Kuhl seinen Traum von der High-Tech-Manufaktur erfüllt.
In einem 7,5 Quadratmeter kleinen Büro fing alles an.
Die 2000 von ihm und einem Kompagnon in einem „7,5 Quadratmeter“ kleinen Büro im Industriepark HiGiS bei Wiesbaum gegründete PREMOSYS GmbH ist auf die Herstellung extrem empfindlicher optischer Messsysteme und Elektronik spezialisiert. Messsysteme, die von der nur 25 Mitarbeitende umfassenden Belegschaft entwickelt werden, können zum Beispiel Landwirten schon während der Fahrt mit dem Traktor über den Acker Werte zur Bodenfeuchtemessung oder die Steuerung von Folgeprozessen übermitteln.
Seit 2015 sei er der alleinige Chef im Haus, meint Matthias Kuhl, und deutet an, dass es kein einfacher Weg gewesen sei, auch Finanzgeber von Sinn und Zweck seiner PREMOSYS zu überzeugen. „Doch seit jetzt fünf Jahren ist das Unternehmen in guten Gewässern. Es läuft!“ so Kuhl.
Warum er ausgerechnet am Rand eines abseits aller Straßen gelegenen kleinen Eifeldorfes gebaut hat? „Ich komme aus der Eifel und Kalenborn-Scheuren ist mein Heimatdorf“, so Kuhl klar und knapp. Im beruflichen Werdegang sei er zuvor viel unterwegs gewesen „und auch mehrere Jahre aus der Eifel weg“.
Nach der Aufbauphase des Unternehmens in angemieteten Räumen sei es für ihn schlicht „naheliegend“ gewesen, dass Unternehmen mit eigenem Gebäude hier anzusiedeln. „Wir fühlen uns voll integriert in unser Dorf. Ziel war es damit ein Unternehmen in den Ort zu bringen, dass dazu beiträgt den Ort wesentlich weiter zu entwickeln und eigene finanzielle Ressourcen für das Dorf zu schaffen. Wir wollten damit unseren Beitrag leisten die Zukunft des Dorfes zu sichern“, führt er weiter aus.
Die Idee hat sich ausgezahlt: „Wir haben nur zwei Kunden aus Rheinland-Pfalz, alle anderen sind in Deutschland, Europa, Asien und Übersee. Kunden die zu uns kommen sind regelrecht ‚geflasht‘ von Landschaft, Umgebung, Gebäude und Arbeitsplätzen. Sie sehen, dass es zwar abgeschieden ist, aber auch welche kreativen Möglichkeiten in diesem Umfeld bestehen.“
Bei den - gemessen an der dörflichen Umgebung - beiden futuristischen Gebäuden, die nebenbei mit große Solarpaneelen auf den Dächern den gesamten Energiebedarf der Firma decken, soll es nicht bleiben. Direkt anschließend befindet sich ein Neubau in Umsetzung, langfristig bestehen weitere Möglichkeiten im Ort.
Wie bei Bilstein & Siekermann und bei FELUWA steht auch im Foyer der PREMOSYS die kleine Bronzefigur des „Großen Preises des Mittelstands“. Matthias Kuhl hat ihn 2017 gewonnen und ist „mächtig stolz darauf“. Eine Vitrine weiter ist ein Uralthandy eines schwedischen Herstellers ausgestellt, daneben eine Messeinrichtung, die PREMOSYS entwickelt hat.
Heute liefert die Manufaktur aus Kalenborn-Scheuren Produkte für einen der größten Chiphersteller der Welt, für den Adel der deutschen Automobilindustrie oder Tesla in Prüm - doch hiermit fing alles an. „So einen Knochen hatte ich damals auch“, grinst Matthias Kuhl, Inhaber des kleinsten „Hidden Champions“ in der Verbandsgemeinde Gerolstein.
Auch PREMOSYS denkt nicht daran die Region zu verlassen. Matthias Kuhl zögert nicht eine Sekunde: „Wir sind und bleiben Eifeler und unserem Standort treu!“ (sli)
EXTRA
Rund 1300 der knapp 11.400 Arbeitsplätze in der Verbandsgemeinde Gerolstein werden von den fünf „Hidden Champions“ vorgehalten. Gerolsteiner Brunnen, FELUWA, Bilstein & Siekermann, PREMOSYS und Tofutown besetzen dabei bis auf den Mineralbrunnen klassische Nischenmärkte, wie es für „Versteckte Sieger“, die in aller Regel aus dem Mittelstand kommen, allgemein üblich ist. „Dabei ist die Region natürlich traditionell eher handwerklich geprägt“, so Stefan Mertes, Wirtschaftsförderer der Verbandsgemeinde Gerolstein. Mit dem Strukturwandel auch in der Vulkaneifel änderte sich das Angebot an Arbeitsplätzen, demografische Faktoren und der Ausbau der Infrastruktur kamen dazu. Auch die fünf „Hidden Champions“ profitieren vom schnellen Internet an ihren Standorten oder dem anhaltenden Zuzug in die Eifel. Das Leben auf dem Land ist attraktiv geworden. Mertes sieht es so: „Das hier ist ein guter Flecken Erde um zu leben, zu arbeiten und gute Geschäfte zu machen!“ (sli)
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